In meiner langjährigen Tätigkeit als Coach und Heilpraktiker Psychotherapie habe ich die Beobachtung gemacht, dass Menschen sich sehr oft mit anderen vergleichen – in der Regel mit denen, die (ihrer Meinung nach) intelligenter, hübscher, reicher etc. und dadurch entsprechend glücklicher sind bzw. scheinen. Dies führt zwangsläufig zu einer persönlichen Unzufriedenheit.
Selten werden Vergleiche zu Menschen angestellt, denen es aktuell schlechter geht, als einem selbst – obwohl deren Anzahl, gemessen an der Weltbevölkerung, wahrscheinlich größer ist. Ignoriert wird dabei meist, dass auch in den beneideten Personengruppen psychische Auffälligkeiten wie z. B. Depressionen, Suchttendenzen, Suizidproblematik zum Alltag gehören.
Viele innere Konflikte und psychische Störungen haben diesen Nährboden, der sich aus den starken Abweichung der gedanklichen Vorstellungen und Hoffnungen über das eigene Leben sowie der ersehnten sozialen Kontakte in Bezug auf die aktuell erreichte Lebensrealität ergibt.
Beispiel Depression: meine Kindheit war schlecht – ich habe im Leben versagt / wichtige Chancen nicht genutzt – all den Anderen geht es besser – das wird sich auch in Zukunft nicht mehr ändern. Diese negativen Gedanken (dysfunktionale Kognitionen) werden bei dem Betroffenen wenig Motivation freisetzen, etwas an seinem Leben zu ändern – im Gegenteil: er/sie wird sich eher als Opfer wahrnehmen und in Passivität verfallen.
Idealvorstellung – Lebensrealität – Selbstwert reflektieren
Die wesentliche Frage dabei ist: sind die aktuellen Umgebungsfaktoren bezogen auf die Wunschvorstellungen für den Einzelnen änderbar, oder müssen die Idealvorstellungen über das eigene Leben reflektiert und auf die persönlich machbaren Größen angepasst werden?
Zentraler Punkt dabei ist das Bewusstsein über sich selbst und das daraus resultierende Selbstwertgefühl. Unser Selbstwertgefühl bestimmt sich weitgehend daraus, welche Selbstwirksamkeits-Erwartung (Winner/Loser) wir gegenüber den Wünschen und der Realisierung unserer Bedürfnisse in unserem bisherigen Leben abgebildet haben. Probleme ergeben sich, wenn man häufig mit sich selbst unzufrieden ist, an sich selbst zweifelt, sich ausgeliefert, ohnmächtig sowie minderwertig fühlt.
Menschen mit einem hohen Selbstwertgefühl werden wesentlich engagierter den eigenen Lebensweg durch die Realisierung wichtiger Ziele angehen, als jene, die sich aufgegeben haben und erreichen damit automatisch eine höhere Selbstwirksamkeit im Leben.
Eine grundlegende Frage ist dementsprechend, woher wir unsere Selbsteinschätzung und Maßstäbe haben, an denen wir festmachen, ob wir etwas wert sind oder nicht. Wichtig dabei ist, zu reflektieren, aus welchen Bausteinen wir das „Haus unseres Selbst“, welches unseren Selbstwert darstellt, aufgebaut haben.
Schlüssel ist der eigene Maßstab, mit dessen Hilfe wir gelernt haben, uns selbst zu beurteilen. Dies beginnt schon in der Kindheit. In unseren Prägephasen durch die Ursprungsfamilie verursachen vielfältigste Fremdbestimmungen unser Bild von der Welt und auch von uns selbst. Durch eine überhöhte Anpassung an unsere Umwelt besteht die Gefahr, dass wir uns selbst verlieren bzw. uns von uns selbst entfremden. Wir sind dann gefährdet, unreflektiert die Meinungen anderer zu übernehmen und für uns falsche Prioritäten für unser Leben zu setzen.
Idealvorstellung – Lebensrealität – Selbstwert sind änderbar
Wir können im Leben jederzeit lernen, unsere Maßstäbe, an denen wir uns selbst und unser Leben beurteilen, zu korrigieren. Um ein glückliches Leben zu führen, müssen wir nicht immer zu den Top-Ten gehören – das ist auf Dauer sehr anstrengend. Das Leben verläuft in persönlichen Zyklen, und da gehören die Siege genauso dazu wie die Niederlagen. Frage ist: welcher Maßstab entscheidet bei der Konstruktion unseres Selbstwertgefühls.
In dem Erwachsenen-Leben haben wir immer wieder Möglichkeiten, die alten hinderlichen Maßstäbe in Frage zu stellen und neu zu bewerten. Die Arbeit an sich selbst und der inneren Realität ist Ausgangspunkt zur selbstbestimmten Gestaltung äußerer Realitäten anstatt auf Wunder wie z. B. den Lottogewinn / die Traumfrau / den Traummann etc., zu warten. Die Umsetzung erfolgt in vielen kleinen Schritten – wichtig dabei ist die Weichenstellung in die neue Richtung, das eigene Leben bestmöglich mitzugestalten.
© Bernhard Tille / 2023